Eine verschlungene Biografie zwischen den Zeiten und Nationalitäten. Von Michael Haas.
Was wissen wir über Hans Winterberg? Nicht viel, möchte man behaupten, wobei wir immer mehr aus einer mit Absicht verschleierten Vergangenheit herausfinden konnten. Wir wissen, dass Winterberg 1901 in einer jüdischen Familie in Prag geboren wurde. Die Familie war schon seit 300 Jahren in Prag ansässig und hatte u.a. einen ehemaligen Oberrabbiner aufzuweisen. Geboren wurde Winterberg als Österreicher, aber mit der Entstehung der Tschechoslowakei 1918, wurde er übergangslos zu einem tschechischen Staatsbürger. Diesen Status hat er bei der Volkszählung 1930 bestätigt, auch nannte er sich selbst damals Hanuš Winterberg. Als Kind lernte er Klavier bei Therèse Wallerstein, die später von den Nazis ermordet wurde. Er studierte in Prag an der Deutschen Akademie für Musik bei Fidelio Finke und Alexander Zemlinsky. 1939/40 besuchte er zusammen mit Gideon Klein den Kompositionsunterricht von Alois Hába am Prager Staatskonservatorium. Eine Zeit lang arbeitete er als Korrepetitor in Brno und Gablonz.
1930 heiratete er die als früheres Wunderkind bekannt gewordene Pianistin und Komponistin Maria Maschat. Sie war Deutsch-Böhmin und nicht jüdisch; 1935 kam ihre Tochter Ruth zur Welt. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht wurden viele von Winterbergs Verwandten ins KZ deportiert, seine Mutter Olga wurde 1942 in Maly Trostinez ermordet. Winterbergs Ehe wurde 1944 nach dem Reichsehegesetzt aufgelöst, im Jänner 1945 wurde er nach Theresienstadt deportiert. Im Mai 1945 kam die Befreiung, bald darauf wurden wiederum seine Frau und Tochter auf Grund der Beneš-Dekrete in Viehwagen nach Deutschland deportiert. Winterberg bekam erst 1947 einen tschechischen Pass, der es ihm ermöglichte zu seiner Frau nach Bayern zu reisen, um seine Manuskripte wieder in Besitz zu nehmen, welche er vor seiner Deportation nach Theresienstadt seiner Gattin sowie Freunden im Ausland anvertraut hatte. 1948 kam es zum kommunistischen Staatsstreich in der Tschechoslowakei, und Winterberg stand vor einem Dilemma: Blieb er tschechischer Staatsbürger, würde man ihn in die Tschechoslowakei zurückführen; um in Deutschland bleiben zu können, musste er sich zur Sudetendeutschen Volksgruppe bekennen. Der Sudetendeutsche Dirigent Fritz Rieger und andere Musiker setzten sich für Hans Winterberg ein, führten seine Werke auf und spielten sie beim BR ein, wo eine beachtliche Zahl von Aufnahmen entstand.
Manche Musiker, die Winterberg noch aus Prag kannten, unterstellten ihm er würde sich nur aus Opportunismus als Deutsch-Böhme tarnen. Die mögliche Entlarvung als Tscheche, der sich in die Sudetendeutsche Gemeinde eingeschlichen hatte, bereitete Winterberg Sorgen.
Die Ehe mit Maria Maschat hielt in Deutschland nicht lange, und Winterberg heiratete noch drei weitere Male. Die vierte Ehefrau, Louise Maria geb. Pfeifer, stammte aus dem Sudetenland. Winterberg adoptierte auch ihren damals 22-jährigen Sohn Christoph, dessen leiblicher Vater ein ehemaliger SS Mann war. Nach dem Tod von Hans Winterberg und Louise Maria im Jahr 1991 verkaufte Christoph den Nachlass seines Adoptivvaters für 6000 DM an das Sudetendeutsche Musikinstitut. 2002 wurde eine Vereinbarung geschlossen, die eine Sperre auf den Nachlass legte und sämtliche Auskünfte über die Familie bis Anfang 2031 untersagte. Es wurde auch vereinbart, dass die jüdische Herkunft von Winterberg nie bekannt gemacht werden dürfe. Erst 2031, nach Aufhebung der Sperre, dürfe über Winterberg gesprochen werden, jedoch nur als „sudetendeutscher Komponist“.
Nur durch den Einsatz des Sohnes von Ruth Winterberg (der Tochter aus Winterbergs erster Ehe), Peter Kreitmeir, und die Veröffentlichung der Vereinbarung mit dem Sudetendeutschen Musikinstitut auf dem Blog „Forbidden Music“ von Michael Haas (vermittelt durch Randy Schönberg) konnte die Sperre aufgehoben und die Rechte an den Enkel zurückgegeben werden. Der Nachlass von Winterberg wird nun am exil.arte-Zentrum an der Wiener Musikuniversität betreut.
Jetzt, da die Musik Winterbergs wieder zugänglich ist, bemerkt man, dass sie ihren Ursprung vor allem in der nach Janáček entstandenen tschechischen Schule hat. Einige Mitglieder der Sudetendeutschen Gemeinschaft haben Winterberg immer wieder als „Tschechen“ verdächtigt. Wie man aus seiner Musik heute hört, hatten sie allem Anschein nach Recht.
Michael Haas, exil.arte Zentrum, mdw